Fallstudien

Belgische Rettungskräfte nutzen Microdrones in Katastrophengebiet


Unterstützung aus der Luft bei der Suche nach Überlebenden und Minen: Seit der Unwetterkatastrophe in Serbien sowie Bosnien und Herzegowina im Mai setzen die Rettungsteams bis heute auf in Deutschland entwickelte und gebaute UAVs. Hochwasser und Erdrutsche machten damals viele Menschen in der Region obdachlos, große Gebiete unzugänglich und spülten zudem Minen aus Bürgerkriegszeiten an die Oberfläche. Unter den Namen ICARUS und TIRAMISU unterstützt die Europäische Union zwei Entwicklungsprojekte für die Suche nach Überlebenden beziehungsweise die Minensuche. Die Drohnen bewähren sich in der Hochwasserregion bei mehreren Einsätzen. Nun setzen auch die Vereinten Nationen auf die Hilfe aus der Luft.


Hilfe aus der Luft

Als im vergangenen Mai eine Flut weite Regionen an Save, Bosna und den Seitenflüssen unter Wasser setzte und zahlreiche Erdrutsche auslöste, war schnell klar, dass es sich um die verheerendsten Regenfälle seit Jahrzehnten handelt. Doch die Gefahr für das Leben der Bewohner bestand noch lange, nachdem sich das schlechte Wetter gelegt hatte, fort. Die EU bezifferte die Schäden und Wirtschaftsverluste auf rund 2 Milliarden Euro in Bosnien und Herzegowina und weitere 1,5 Milliarden in Serbien. Entsprechend schnell bewilligte anschließend die EU-Geberkonferenz Finanzhilfen in Höhe von 809.2 Millionen Euro für Bosnien und Herzegowina und 995.2 Millionen Euro für Serbien.

Doch bereits Anfang August wurde die Region von weiteren Überflutungen infolge von Unwettern getroffen. Die Aufräumarbeiten waren noch im Gange und sind es noch heute. Behörden und Verantwortliche vor Ort sind alleine jedoch überfordert. Viele internationale Hilfsorganisationen tragen daher ihren Teil bei der Katastrophenbewältigung bei, so auch die Belgian Royal Military Academy (RMA). Deren Belgian First Aid and Support Team (B-FAST) hat ein besonderes Hilfsmittel im Einsatz. Es fliegt über die unzugänglichen Gebiete und liefert den Rettern einen unverzichtbaren Überblick. Es handelt sich um ein UAV (Unmanned Aerial Vehicle), entwickelt in Deutschland. 

Einsatzvorbereitung für eine md4-1000 von Microdrones.

Der Quadrokopter vom Typ md4-1000 wurde in NRW in Siegen von der Microdrones GmbH entwickelt und von der Belgian Royal Military Academy im Krisengebiet eingesetzt. »Über zwei Wochen sind wir etwa 20 Einsätze geflogen, manuell oder mithilfe automatischer Wegpunkte«, erklärt Haris Balta. Der Forschungsingenieur der RMA führte die Mission vor Ort durch. »Wir haben den anderen Rettungsteams Schadensberichte, detaillierte Karten und Bilder der Katastrophenregionen geliefert. Dabei lokalisierten wir auch zahlreiche Minen aus Kriegszeiten.« Balta selbst wurde in Sarajevo geboren. Seit 2012 ist er Teil der RMA in Belgien. Der Einsatz im Hochwassergebiet verlangte auch ihm viel ab. Er musste unter schwierigen Bedingungen arbeiten: Große Landstriche waren von der Versorgung abgeschnitten. Nur das Microdrones UAS (Unmanned Aircraft System) verschaffte den Rettungskräften einen Überblick über die Situation hinter den Wassermassen, Erdrutschen und Trümmern.

Digitales, dreidimensionales Landschaftsmodell des Katastrophengebiets.

Einsatz bei der Minensuche

Seit dem Bürgerkrieg von 1992 bis 1996 sind in der Region viele bekannte oder auch vermutete Minenfelder. Bei Kriegsende wurde laut einem Bericht des Zentrums für Minensicherung in Bosnien und Herzegowina (BH-MAC) aus dem Jahr 2013 die Zahl der Landminen und Blindgänger im gesamten Kriegsgebiet auf etwa 2 Millionen geschätzt. Demnach verteilen sich noch heute Minen auf rund 28.700 Orte. In der Summe ergibt sich ein vermintes Gebiet von etwa 1.230 Quadratkilometern – mit Folgen für die Rettungskräfte in den Krisengebieten: Während der Regenfälle kam es in der Region um das Dorf Kopanice (süd-östlich der Stadt Orasje, im Nord-Osten Bosniens) zu mehreren Dammbrüchen. Ackerland und viele Minenfelder wurden unter den Wassermassen begraben. Somit war der Einsatz der Retter am Boden zu riskant. Es hätte Tage gedauert, bis die lebensnotwendige Hilfe bei den Menschen ankommt. Auch in der Stadt Maglaj, weiter im Landesinneren am Fluss Bosna gelegen, und Umgebung hatten Erdrutsche ganze Minenfelder verschoben. Alleine in der Stadt leben rund 25.000 Menschen, die sich nun nicht mehr gefahrlos frei bewegen konnten.

In den betroffenen Regionen wurden mithilfe des UAVs aus der Luft daraufhin detaillierte 3D-Aufnahmen erstellt, die halfen, die Verschiebungen der Minenfelder zu berechnen. Noch in bis zu 23 Kilometern Entfernung von ihrer ursprünglichen Position wurden in der Region bei Maglaj Minen gefunden. Die Unterstützung aus der Luft war in diesem Fall eine erhebliche Hilfe für den Einsatz im Katastrophengebiet. »Ein zweistündiger Einsatz der Drohne sparte dem Rettungsteam drei Tage«, kommentierte das B-FAST-Team vor Ort. 


Schnelle Hilfe mit grosser Zeitersparnis vor Ort

Aber die Luftaufnahmen werden nicht nur für die Minensuche genutzt. Mit den detaillierten Bildern können andere Rettungskräfte ihre Einsätze wesentlich effektiver und einfacher planen. Besonders die Stadt Orasje war stark vom Hochwasser betroffen. Tausende Menschen verloren ihr Zuhause, viele waren von der Außenwelt abgeschnitten. Erste Versuche, das Wasser abzupumpen, blieben erfolglos. Warum sanken die Wasserpegel nicht, obwohl die Pumpen seit Tagen liefen? Das UAV des Belgian First Aid and Support Teams des Belgischen Militärs sollte helfen. Bei einem Flug entdeckte die hochauflösende Kamera einen gebrochenen Damm des Flusses Sava, der zugleich die Grenze nach Kroatien markiert. Von hier strömten unaufhörlich neue Wassermassen nach. Alle bisherigen Versuche, das Wasser abzupumpen, entpuppten sich daher als sinnlos. Erst als der Damm geschlossen war, besserte sich die Lage in den betroffenen Gebieten. Zusätzlich zeigten die Aufnahmen der microdrone den Experten, dass der Dammbruch nicht natürlichen Ursprungs war. Die Bilder wurden den Behörden daher als Beweismaterial übergeben, welche den Fall strafrechtlich weiterverfolgten.

Eine md4-1000 über dem Katastrophengebiet nach der Flut.

Weniger spektakulär, aber nicht weniger wichtig, war der Einsatz des belgischen Rettungsteams B-FAST für die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) aus Deutschland. Erst mit der Unterstützung aus der Luft war es den Rettungskräften möglich, in dem unübersichtlichen Gelände die Pumpen optimal zu platzieren. In Bosnien setzte das THW unter anderem ein sogenanntes High Capacity Pumping (HCP)-Modul ein, das bis zu 15.000 Liter in der Minute fördert. Dabei kann das Wasser über eine Distanz von bis zu 1.000 Metern gepumpt werden.


Die bisherigen Missionen, die unmittelbar nach dem Hochwasser stattgefunden haben, sind von so vielen lokalen Behörden und Endanwendern als sehr hilfreich anerkannt worden, dass sie uns gebeten haben, eine neue Mission, die im Rahmen eines Projektes zur Minenräumung der Vereinten Nationen stattfindet, zu organisieren.

Haris Balta

EU-Projekte mit hohem Anspruch an Werkzeuge für Minensuche

Die möglichen Einsatzgebiete für die wendigen Microdrones UAVs sind vielfältig. In den unzugänglichen Hochwassergebieten stellten sich aber auch an sie besondere Anforderungen: Lange Flugzeiten und die Möglichkeit für die Retter, auf engem Raum am Boden zu operieren, waren zwingende Voraussetzungen. Der in diesem Fall eingesetzten Quadrocopter md4-1000 ist leicht zu steuern oder kann mittels GPS selbsttätig Wegpunkte abfliegen – bis zu 90 Minuten am Stück (unter Einsatz einer speziellen High-Endurance-Konfiguration).

Das UAS ist Teil zweier EU-Projekte: Bei ICARUS werden Werkzeuge entwickelt, die Rettungsteams in Krisengebieten helfen sollen, Überlebende zu finden. Dazu gehören unbemannte Fahrzeuge für den Einsatz am Boden, in der Luft und im Wasser. Die Lösungen des Projekts TIRAMISU hingegen sind speziell auf die Suche nach Minen ausgelegt. Die belgische RMA koordiniert die Projekte. In beiden haben sich die Quadrocopter im Ernstfall bewährt.

Die Suche und das Entschärfen von Landminen ist ein wichtiger Schritt hin zum Frieden in den meistens von einem längeren Krieg gebeutelten Regionen. Die Kampfmittelbeseitigung, englisch »Demining«, ist das vorrangige Ziel von TIRAMISU. Der Aufbau von Infrastruktur und ein Leben in Sicherheit sind für die Bevölkerung erst möglich, wenn die Gefahr durch die tödlichen Relikte des Krieges gebannt ist. Alleine durch die hohe Zahl von Minen und den Mangel an Plänen ist die Kampfmittelbeseitigung jedoch ein langwieriger Prozess. 2008 präsentierten die Vereinten Nationen Zahlen, nach denen Landminen mehrere Jahrzehnte scharf bleiben und weltweit für den Tod von 15.000 bis 20.000 Menschen pro Jahr verantwortlich sind. Solche Zahlen waren schon Jahre zuvor ein Grund für die sogenannte Ottawa-Konvention. Der völkerrechtliche Vertrag zum Verbot von Antipersonenminen wurde 1997 geschlossen und bis 2013 von über 161 Staaten ratifiziert. Der Landmine-Monitor kommt jedoch 2013 zu dem Ergebnis, dass sich noch immer Minen in 59 verschiedenen Staaten und einigen weiteren Regionen finden.


UN setzt nach erfolgreichem Einsatz erneut auf Drohnen

Inzwischen haben auch die Vereinten Nationen den Erfolg der deutschen Microdrones bei ICARUS und TIRAMISU ausgewertet: In der Folge ist die Drohne md4-1000 bereits wieder im Einsatz. In Bosnien und Kroatien unterstützen die detaillierten Luftaufnahmen die Teams erneut bei der Minenräumung. Haris Balta sagt: »Die bisherigen Missionen, die unmittelbar nach dem Hochwasser stattgefunden haben, sind von so vielen lokalen Behörden und Endanwendern als hilfreich anerkannt worden, dass sie uns gebeten haben, auch die neue Mission der Vereinten Nationen zu unterstützen.« Gerade in schwer zugänglichen oder aufgrund der Minen zu gefährlichen Gebieten sei durch den UAS-Einsatz eine wesentlich präzisere und schnellere Hilfe für die Betroffenen möglich.